Ärztliche Sprechstunden online - Anwendungsgebiete von medizinischem Cannabis
Veranstaltungsreihe des Cannabis Social Clubs 2021
Behandlung der ADHS mit Cannabis-basierten Medikamenten
Prof.in Dr.in Kirsten Müller-Vahl
Ärztin für Neurologie und Psychiatrie (Clinician Scientist), geschäftsführende Oberärztin der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover (D)
Was ist die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung? Wie macht es sich bemerkbar? Wie sieht die klassische Behandlungsmethode aus und was können sich Patient*innen von einer Behandlung mit Cannabis erwarten? Und wie erhalten sie die nötige Verschreibung für eine Therapie basierend auf medizinischem Cannabis?
Mit diesen und weiteren Fragen haben sich Expert*innen und medizinisches Fachpersonal auseinandergesetzt, um sie an einem Themenabend mit Interessierten zu besprechen. Die Ergebnisse der medizinischen Sprechstunde können Sie hier nachlesen, ebenso kann die Videoaufzeichnung der gesamten Veranstaltung angesehen werden. Das nebenstehende Infoblatt kann bei Bedarf heruntergeladen und ausgedruckt werden.
Aufzeichnung ansehen
Die Abendveranstaltung zu diesem Thema fand online am 01.06.2021 statt und kann hier nochmal angesehen werden.
Diskussionsrunde:
- Prof.in Dr. Kirsten Müller-Vahl, Expertin
- Prof. Dr. Andrea Conca, Primar der Psychiatrie am Krankenhaus Bozen, Koordinator des landesweiten Dienstes für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Südtirol
- Dr.in Sonia Holzer, Verantwortliche der Spezialambulanz für ADHS im Erwachsenenalter am Krankenhaus Bozen
- Dr. Aldo Leonardo Berti, Hausarzt, Bozen
- Dr. Roberto Pittini, Facharzt für Anästhesie und Schmerztherapie, Meran
- Dr. Elio Dellantonio, Ex-Primar SERD, Bozen
- Peter Grünfelder, Vertretung Patientenvereinigung, Bozen
Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
Die Aufmerksamkeitsdefizit - Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine häufige Störung mit Beginn im Kindesalter, die durch die Kernsymptome Hyperaktivität, Impulsivität und mangelnde Aufmerksamkeit gekennzeichnet ist.
Häufig bestehen zusätzlich weitere Symptome wie Depression, antisoziales Verhalten, Schlafstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Substanzabhängigkeit und Tics.
Bei etwa der Hälfte der Betroffenen persistieren die Symptome bis ins Erwachsenenalter. Klinisch stehen dann meist folgende Symptome im Vordergrund: Unaufmerksamkeit, Desorganisation, emotionale Überreaktivität, Wutausbrüche, Impulsivität, Stimmungsschwankungen und die Unfähigkeit, Aufgaben durchzuführen.
Klassische Behandlung
Die klassische Behandlung setzt vor allem auf die kognitive Verhaltenstherapie des Kindes/der Jugendlichen (ab dem Schulalter).
Falls die Störung stark ausgeprägt ist und das alltägliche Leben beeinträchtigt kann die Behandlung gegebenenfalls in Kombination mit Medikamenten erfolgen.
Zum Einsatz kommen Medikamente wie Methylphenidat oder das etwas weniger wirksame Atomoxetin, welche die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin im Gehirn freisetzen.
Behandlung mit Cannabis
Aus Umfragen ist bekannt, dass Erwachsene mit ADHS häufig eine Selbsttherapie mit Cannabis durchführen. Sie berichten, dass die Einnahme zu einer Verbesserung zahlreicher Symptome führe, wie unter anderem die Minderung von Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität aber auch Verbesserung von Depressionen, Ängsten und Schlafstörungen. Daraus resultieren eine verbesserte psychosoziale Leistungsfähigkeit und Lebensqualität.
Bis heute liegen allerdings nur sehr wenige Fallberichte und Studien vor, in denen über Behandlungen mit Cannabis-basierten Arzneimitteln bei ADHS berichtet wird bzw. dessen Wirksamkeit untersucht wurde. In einer Einzelfallstudie konnte gezeigt werden, dass sich die Fahrsicherheit nach Einnahme von Cannabis verbesserte. In einer Fallserie mit 30 Patient*innen wurde über eine Verbesserung von Konzentration, Schlaf und Impulsivität berichtet. Bei Patient*innen mit Tourette-Syndrom wurde wiederholt eine zusätzliche Verbesserung der Symptome einer begleitend bestehenden ADHS beschrieben. In der bisher einzigen kontrollierten Studie wurde die Wirksamkeit des Cannabismedikamentes Nabiximols (Sativex®) bei 30 Erwachsenen mit ADHS untersucht. Dabei wurde eine Verbesserung von Hyperaktivität, Impulsivität, hemmender Mechanismen, Unaufmerksamkeit und emotionaler Labilität festgestellt.
Interessanterweise gibt es Hinweise darauf, dass bei der ADHS eine Fehlregulation im körpereigenen Endocannabinoid-System (ECS) bestehen könnte. So fand sich in einer Studie bei Jungen mit ADHS eine verminderte Aktivität der Fettsäureamidhydrolase (FAAH) im Serum, einem Enzym, das Anandamid abbaut. Weiterhin wurde in einer genetischen Studie bei Kindern mit ADHS eine Auffälligkeit in einem Gen gefunden, das die Aktivität des Enzyms FAAH reguliert.
Zugang zu medizinischem Cannabis
Geeignet für eine Behandlung mit Medizinischem Cannabis sind Patient*innen, die keine Psychopharmaka einnehmen und keine schweren psychiatrischen Erkrankungen (Schizophrenie, Psychose, bipolare Störung) entwickelt haben.
Sämtliche Allgemeinmediziner*innen, Privatärzt*innen oder Fachärzt*innen können Cannabis auf einem "weißen" ärztlichen Rezept verschreiben, sofern eine Therapie mit medizinischem Cannabis gemäß Gesetz 94/98 angebracht ist. Bei der Behandlung der ADHS gibt es zwar nur wenige, jedoch vielversprechende Studien über den Einsatz von Cannabis, was eine Verschreibung gerechtfertigen könnte.
Für eine Verschreibung wenden Sie sich an Ärzt*innen, vorzugsweise an Psychiater*innen, die über die notwendige Erfahrung und Kompetenz verfügen, die Cannabis-Therapie in den medizinischen Kontext der Betroffenen, welche oft eine komplexe Patientengeschichte aufweisen, zu integrieren.
Cannabis Social Club - Bozen
Dantestr. 2, Bozen
Mo - Fr 09:00 - 17:00 Uhr
Tel.: +39 0471 1817167
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Die in diesem Dokument enthaltenen Informationen sind nicht als Alternative oder Ersatz für die Anweisungen oder Hinweise von Ärzten oder anderen Fachleuten aus dem medizinischen und pharmazeutischen Bereich gedacht, sondern dienen ausschließlich dem Zweck eines vollständigeren Allgemeinwissens. Dieses Dokument soll in keiner Weise zu verbotenem Verhalten ermutigen. Die Ersteller dieses Dokuments, die Patientenvereinigung Cannabis Social Club Bolzano, übernehmen keine Verantwortung für einen eventuellen Missbrauch der hierin enthaltenen Informationen.